Offengestanden: Ehrliche Antworten inspirierender Frauen : III

- 17 Jun 2021
Geschrieben von Nele Hyner


Offengestanden: Ehrliche Antworten inspirierender Frauen
Interview mit Miriam Mertens

In unserer Rubrik „Offengestanden – Ehrliche Antworten inspirierender Frauen“ veröffentlichen wir jeden Monat ein Interview mit einer Frau, die uns beeindruckt.

Miriam, du bist Co-Founder und CEO des Start-Ups DeepSkill. Möchtest du uns in deinen eigenen Worten erzählen, was ihr macht?

Klar! Wir machen technologiegestützte Personalentwicklung für mehr menschenzentrierte Führung. Das heißt, wir entwickeln digitale Trainings- und Coachingprogramme für Führungskräfte, aber auch für Mitarbeiter, Projektmanager, Product Owner – eigentlich alle, die in einem anspruchsvollen Job sind. Und das machen wir digital mittels einem Mix aus E-Learning, Gruppensessions und Selbstreflexionsübungen, die die Teilnehmer über einen längeren Zeitraum begleiten. Unterstützt
werden sie dabei durch einen Algorithmus, der ihnen personalisiert auf sie zugeschnitten immer genau die richtigen Inhalte bietet, die sie in diesem Moment in ihrer derzeitigen Jobphase brauchen.

Du warst über acht Jahre bei der Telekom, zwei davon als Verantwortliche für die Zusammenarbeit mit Start-Ups, bevor du dich 2018 entschieden hast, selbst zu gründen. Ein mutiger Schritt raus aus einer guten führenden Position ins Ungewisse. Woher hast du diesen Mut genommen? Was hat dich angetrieben?

Ich hatte vorher schon diverse Start-Ups als Gesellschafterin mitgegründet, was mir immer sehr viel Spaß gemacht hat. Insofern war die Idee, selbst zu gründen, schon lange in mir. Der Haupttrigger war dann eigentlich, dass ich mich irgendwann mal gefragt habe „Was will ich wirklich? Welche Spuren möchte ich hinterlassen, wenn ich mal aus dem Berufsleben gehe?“. Der Job bei der Telekom, den ich zuletzt hatte, hat super viel Spaß gemacht und ich hatte ein wirklich cooles Team, aber es war ein Konzernjob und mich hat das Thema Digitalisierung mit all seinen Vor- und Nachteilen schon immer sehr angetrieben – ich komme ja ursprünglich aus dem Informatikbereich. Daher war es mir ein Herzensanliegen, einerseits Digitalisierung zu nutzen, um mehr Menschen bessere und effektivere Lerninhalte zur Verfügung zu stellen, andererseits aber auch, das Thema Digitalisierung differenzierter zu sehen. Denn gerade in Zeiten von Peer Digitalisierung wird der Bedarf nachemotionalen Skills – Intuition, Kommunikationsstärke, mentale Stärke, Resilienz – immer größer. Es war mir ein Anliegen, das Tech-Thema Digitalisierung mit dem Thema emotionale Skills zu verbinden und das war der Grund, warum ich gegangen bin. Trotzdem sage ich auch immer sehr gerne dazu, dass es mir nicht leichtgefallen ist. Das ist über viele Jahre in mir gereift, über viele Jahre musste ich den Mut aufbauen, um zu sagen: Das mache ich jetzt einfach.
Ich habe davor ja eine klassische Konzernkarriere gemacht – alle anderthalb bis zwei Jahre ein Karriereschritt. Natürlich fragen dann viele, warum man das denn jetzt macht.
Mut ist nicht, dass man keine Angst hat, sondern Mut ist, dass man es trotzdem macht. Dass man sagt, ich probiere das jetzt einfach aus. Und so haben wir es dann auch gemacht. Die ersten anderthalb Jahre liefen nicht besonders gut, da haben wir viel rumprobiert und Produkte, die wir gelauncht haben, haben nicht optimal am Markt funktioniert. In solchen Situationen zweifelt man natürlich nochmal, ob man die richtige Entscheidung getroffen hat. Aber ich glaube entscheidend ist,
dass man dranbleibt und es weiter versucht.

Eines der Programme von DeepSkill richtet sich an berufstätige Eltern und soll dabei helfen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Auch du hast zwei Söhne. Hättest du dir in deiner Zeit bei der Telekom ein solches unterstützendes Programm gewünscht? Wie hast du Arbeit und Familie unter einen Hut gebracht und wie tust du es heute?

Das Coaching Programm für berufstätige Eltern war unser erstes Produkt am Markt. Ich hatte in der Tat bei der Telekom ein Programm, das die gleiche Zielsetzung hatte und auch sehr gut war. Es hat aber komplett analog funktioniert und war aufwendig und teuer. Mir hat das nach der Geburt meines ersten Sohns sehr geholfen und ich habe immer gedacht, dass eigentlich alle Eltern, die in einer Care Rolle sind, die Möglichkeit zu einem solchen Programm haben sollten. Und so kam auch die Idee für DeepSkill. Ein Support für Eltern in einem anspruchsvollen Job und einer Care-Rolle, wenn die Kinder noch sehr klein sind. So ist die erste Idee geboren, ein sehr hochwertiges Programm für bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu machen, was aber in der digitalen Form noch effektiver in den Alltag eingewoben werden kann. Wir machen das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie nach wie vor, aber inzwischen ist unser Hauptthema Leadership.

Was ist für dich der größte Vor- und Nachteil daran, Gründerin zu sein?

Der größte Vorteil ist sicherlich, dass man seine eigenen Ideen verwirklichen kann, dass man das machen kann, was man will und vor allem es so machen kann, wie man will. Das empfinde ich jeden Tag als großes Geschenk. Dazu gehört natürlich auch eine gewisse Flexibilität, wobei ich nicht sehe, dass ich unbedingt eine größere zeitliche Flexibilität als früher habe. Ich arbeite nach wie vor viel und wir haben eben auch Angestellte, ein Büro und entwickeln jederzeit neue Produkte, Projekte und Prozesse. Aber ich kann es so gestalten, wie ich möchte. Das empfinde ich als den größten Vorteil. Nachteile sind natürlich die wirtschaftliche Unsicherheit. Es gibt auch da Mittel und Wege, sich zu finanzieren und wenn man da ein Stück weit erst einmal drauf verzichten kann und auch nicht die monetäre und persönliche Bestätigung aus einem typischen Angestelltenverhältnis sucht, dann geht das sehr gut. Trotzdem glaube ich, man sollte die Entscheidung, zu gründen nicht davon abhängig machen, dass man mehr Flexibilität oder andere Rahmenbedingungen sucht, sondern ob man ein Thema hat, das man in die Welt bringen oder ein Produkt, das man realisieren will. Davon, ob einem das ein Herzensanliegen ist und ob einem das Unternehmerdasein wirklich liegt, denn das heißt erstmal, alles selber zu machen, von der Buchhaltung über Marketing und Produktentwicklung bis zum Pitch vor Investoren. Manchmal gibt es ja Statements, dass gerade für Mütter, die viel zeitliche Flexibilität suchen, die Selbstständigkeit genau das Richtige ist. Das halte ich für falsch. Das ist genauso was für Mütter, wie für Väter, wie für nicht-Eltern. Das hat gar nichts damit zu tun. Es hat etwas damit zu tun, wie man arbeiten möchte und ob man sich selbst in so einer Allrounder Rolle sieht oder eben nicht.

Du hast gerade schon erwähnt, dass ihr am Anfang auch Probleme hattet. Was war das größte Hindernis im Gründungsprozess? Wann hast du am meisten gezweifelt an der Entscheidung?

Wir hatten im Founder Team unterschiedliche strategische Interessen und Zielsetzungen. Obwohl wir da sehr viel drüber diskutiert haben und das thematisiert haben, hat es über ein Jahr gedauert, das tatsächliche Problem zu identifizieren. Ich habe mich oft gefragt, ob wir das früher merken und besser hätten machen können. Ich glaube nicht. Ich glaube, das war ein wichtiger und hilfreicher Prozess. Trotzdem ist es wichtig, dass man auf sein Bauchgefühl hört, wenn man über lange Zeit das Gefühl hat, dass es im Founder Team nicht passt. Differenzen im Founder-Team sind der häufigste Grund, warum Start-Ups scheitern. Deshalb würde ich sehr viel Zeit drauf verwenden, immer wieder zu diskutieren: „Wo willst du hin? Wo will ich hin? Wie stellen wir uns die Zusammenarbeit und Verantwortung vor?“ Und wenn es da irgendwo hakt, und es hakt immer mal, dann auch darüber sprechen oder sich sogar durch einen Coach unterstützen lassen.

Hast du Tipps für junge (angehende) Gründerinnen, um in der Start Up Welt Fuß zu fassen?

Ich würde mir einfach immer gut überlegen, was der nächste Schritt ist. Wenn man mit dem Gedanken spielt, selbst zu gründen – je nach Erfahrungsgrad und Alter –, würde ich ein Praktikum in einem Start-Up machen, um mir das mal anzuschauen.

Und dann einfach machen. Das heißt, sich einen Co-Founder oder eine Co-Founderin suchen und gemeinsam einfach mal zu einer ersten Idee überlegen. Ich glaube nicht, dass es für die meisten der richtige Weg ist, auf die eine Idee zu warten. Viele sagen zu mir, dass sie sich so gerne auch selbstständig machen würden, aber einfach keine Idee haben. Wir hatten auch nur eine halbe Idee und daraus entwickelt sich ja dann meistens erst im Laufe der Zeit etwas. Aber nur, wenn man diesen ersten Schritt geht, kann das auch passieren. Außerdem: Wenn man gründen möchte, dann sollte man das wirklich mit 120% machen. Also so ein bisschen nebenbei gründen, das funktioniert ganz selten. Man muss das schon auch ernst nehmen und sich Hilfe suchen, wo es geht.

Der Female Founders Monitor 2021 hat eine Studie veröffentlicht, die zeigt, dass im Investment-Prozesses ein großer gender bias besteht, dass Gründerinnen also deutlich schlechtere Chancen auf beispielsweise Kapital haben als ihre männliche Konkurrenz.Kannst du diesen Befund mit deinen Erfahrungen bestätigen?

Ehrlich gesagt, ja! Ich komme ja ursprünglich aus der Software Entwicklung. Ich hatte in diesen ganzen Jahren nie das Gefühl, dass ich diskriminiert wurde – im Gegenteil: Ich hatte meistens eher das Gefühl, dass ich viel gefördert wurde und auch eine gewisse Visibilität hatte. Gerade in meinem letzten Job als Start-Up Verantwortliche habe ich viel mit Venture Capital Fonds zu tun gehabt und da überhaupt keine negativen Erfahrungen gemacht. Das änderte sich aber, als ich selbst Gründerin
wurde. Ich hatte eine solide Karriere, ich habe eine top Ausbildung, ich habe viel vorzuweisen und auch Erfahrung. Trotzdem fand ich mich dann plötzlich in Pitch Situationen wieder, wo Sprüche kamen, wie: „Du machst das ja bestimmt, weil du jetzt Kinder hast. Das ist ja besser vereinbar“. Obwohl das für mich gar kein Thema war, dabei ging es bei meiner Gründung überhaupt nicht. Oder ein weiterer Weltklasse Spruch war: „Alle Frauen gründen immer in den 5 K: Kinder, Kosmetik,
Klamotten, Coaching und Kochen.“
Noch eklatanter ist mir das aber in der Tat in der Kapitalsuche aufgefallen. Die Befunde des Female Founder Monitors habe ich genau so erlebt. Und aus Investorensicht ist mir auch klar, warum das passiert. Investoren, die nicht so professionell agieren, hören sich ja oft Pitches in Themen an, mit denen sie gerade wenig vertraut sind. Die haben dann unter Umständen nur fünf oder zehn Minuten Zeit, sich einen Eindruck vom Gründerteam zu machen. Da gehen natürlich Schubladen auf, weil es schnell gehen muss und es gar keine andere Informationsbasis gibt. Insofern glaube ich definitiv, dass Frauen da benachteiligt werden, weil einfach die Investoren oft männlich, etwas älter und recht konservativ geprägt sind. Das vorherrschende Gründerbild ist eben häufig ein 25- bis 30-jähriger, weißer deutscher Mann mit homogenem Werdegang, der sich sehr gut verkaufen kann. Das ist das Rolemodell des erfolgreichen deutschen Start-Up Gründers. Dass das erstmal eher in die Erfolgsschublade einsortiert wird, ist ja auch nachvollziehbar. Trotzdem ist das natürlich fatal, weil dadurch Ideen, Potenzial und Diversity verloren gehen. Insofern bin ich froh, dass sich in meinem Gefühl im letzten Jahr das Blatt ein bisschen wendet mit solchen Initiativen wie beispielsweise Encourage Ventures.

Und zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft: Wie sieht für dich die perfekte Zukunft der Arbeit aus?

Die Zukunft der Arbeit wird definitiv noch viel stärker durch Digitalisierung, Automatisierung und künstliche Intelligenz geprägt sein, da bin ich fest davon überzeugt. Insofern glaube ich, dass wir gut daran tun, jetzt schon genau in diese Themen zu investieren. Einerseits gehört dazu, uns Digitalisierungsexpertise anzueignen, andererseits müssen wir uns aber genauso stark auf die Fähigkeiten konzentrieren, die uns als Mensch ausmachen, um wirklich eine menschenzentrierte
Arbeitswelt zu schaffen. Dabei sollten wir uns auch immer fragen: „Wem dient das eigentlich alles, was wir hier tun? Für wen ist das gut?“
Zum anderen wäre mein Wunsch neben der Digitalisierung genauso das Thema Nachhaltigkeit: Wie gehen wir mit Ressourcen um, wie gehen wir untereinander und mit unserer Umwelt um? Diese Fragen müssen wir ins Zentrum unseres Handelns stellen. Ich würde mir wünschen, dass das auf einer Regulierungsebene, aber auch auf staatlicher Ebene und bei jedem Einzelnen, vielleicht sogar auf Kapitalgeberebene, eine viel stärkere Berücksichtigung findet.