Offengestanden: Ehrliche Antworten inspirierender Frauen: V

- 14 Okt 2021
Geschrieben von Nele Hyner


Offengestanden: Ehrliche Antworten inspirierender Frauen
Interview mit Julia Otto

In unserer Rubrik „Offengestanden – Ehrliche Antworten inspirierender Frauen“ veröffentlichen wir jeden Monat ein Interview mit einer Frau, die uns beeindruckt.

Julia Otto hat in London und Potsdam Betriebswirtschaftslehre studiert, bevor sie im Jahr 2005 begann in dem Familienunternehmen ihres Vaters, der Trebbiner Stahlgesellschaft, zu arbeiten. Seit 2018 bildet sie gemeinsam mit ihrem Bruder die Geschäftsleitung und ist hier vor allem für die administrativen Aufgaben zuständig.

 

Frau Otto, Sie haben die Gründung der Trebbiner Stahlgesellschaft 1992 als Kind miterlebt und waren dann ihr Leben lang am Aufbau der Firma beteiligt. Wie fühlt es sich an, heute Geschäftsführerin dieses Unternehmens mit inzwischen über 60 Mitarbeitenden an 3 Standorten zu sein?

Wir sind sehr stolz auf unseren Vater, der nach der Wende das Unternehmen aus eigener Kraft aufgebaut hat, Stück für Stück expandiert ist und nun gleich zwei seiner drei Kinder sein Lebenswerk übergeben hat. Wir erhalten, was war und bereiten es zeitgleich auf eine neue Zukunft vor. Was Besseres kann ich mir nicht vorstellten.

 

Sie führen die TSG gemeinsam mit Ihrem Bruder Alexander Otto. Hatten Sie schonmal das Gefühl, dass Sie es in dieser Position aufgrund Ihres Geschlechts schwerer haben? Dass Sie sich beispielsweise mehr behaupten müssen?

Ja, leider gibt es die Gleichberechtigung noch nicht so, wie wir uns das vorstellen in der Gesellschaft. Als ich mit 25 angefangen habe im Baugewerbe zu arbeiten, war es tatsächlich nicht leicht, als junge Frau mich auf den Baustellen und auch gegenüber den männlichen Mitarbeitern in unserer Produktion zu behaupten. Ich habe jahrelange gedacht, man erreiche dies durch die gleichen Qualitäten, die Männer mit sich bringen. Aber das war falsch. Frauen haben ihre eigene Art zu führen. Und es ist wichtig, dass dies in Unternehmen eingebracht wird. Der Erfolg liegt darin, beides zu vereinen. Umso glücklicher bin ich, dass wir eine gemischte Doppelspitze haben.

 

Was war für Sie die größte Herausforderung in Bezug auf Ihre berufliche Verantwortung, als im letzten Frühjahr plötzlich alles von zu Hause aus stattfinden musste?

Ich habe im Jahr 2018 zusammen mit meinem Bruder die Entscheidung getroffen, partiell aus dem Ausland zu arbeiten. Mein Privatleben hat mich nach Kolumbien geführt, wo ich einige Monate im Jahr die Geschäfte remote führe. Durch meine administrative Leitung habe ich bereits frühzeitig Digitalisierungsthemen im Unternehmen umgesetzt. Damit war es für uns deutlich leichter, plötzlich von zu Hause aus zu arbeiten. Das, was ich bereits einige Monate im Jahr seit 2018 praktiziert habe, konnte ich in der Administration im Unternehmen für alle Mitarbeiter umsetzen.

 

Im Vorstellungsvideo auf Ihrer Webseite sagen Sie, dass Ihnen ein familiärer Umgang im Team und flexible Arbeitszeitmodelle wichtig sind. Was würden Sie sagen, unterscheidet Ihr Unternehmen von anderen? Was macht die Arbeit für die TSG besonders?

Wir sind ein Familienunternehmen, haben sehr flache Hierarchien, sind per Du und unsere Mission ist es, glückliche und zufriedene Mitarbeiter zu haben. Dazu gehört vor allem das private und berufliche Leben miteinander vereinbaren zu können. Gerade als weibliche Führungskraft möchte ich mit gutem Beispiel vorangehen, dass Karriere und Familie durchaus miteinander vereinbar sind. Wenn Kinder krankheitsbedingt oder aufgrund mangelnder Betreuungsmöglichkeit die Abwesenheit eines Mitarbeiters verlangen, gibt es heute genügend Möglichkeiten mit dem Laptop von zu Hause aus zu arbeiten. Auch unsere Kollegen in der Produktion, die zum größten Teil aus dem Ausland kommen, haben flexible Arbeitszeitmodelle, um ausreichend Zeit mit ihren Familien zu verbringen. 

 

Was sind für Sie die drei wichtigsten Eigenschaften, die eine moderne Führungskraft haben sollte?

Moderne Führungskräfte sollten nicht mehr über Dominanz und Härte führen. Für mich sind Empathie, Transparenz und Verantwortungsbewusstsein die Kernkompetenzen.

Durch aktives Zuhören, Mitgefühl und Verständnis verstehst du die Gründe hinter dem Verhalten deiner Mitarbeiter und kannst erkennen, wie du sie bestmöglich unterstützen kannst. Du wirst zu einer Vertrauensperson und kannst schneller Konflikte lösen. Wenn du deine Gründe für bestimmte Entscheidungen transparent kommunizierst und umsetzt, zeigst du Verlässlichkeit und Fairness. Und letztlich solltest du als Führungskraft zu deinem Wort stehen und auch bei Fehlentscheidungen volle Verantwortung übernehmen.

 

Und zum Schluss frage ich immer: Wie sieht für Sie die perfekte Zukunft der Arbeit aus?

Ein Umfeld zu schaffen, indem sich Arbeit nicht nach Arbeit anfühlt!